Warmer Schnee

 




Warmer Schnee. 



(«2020, Januar, Sonntag») Ein sonniger Tag im Januar, mit frisch gefallenem Schnee. Auf den weitläufigen Wiesen und hohen, dunklen Tannenwäldern in der Ferne, den Baumwipfeln und Hausdächern hier, die Straße hinunter, glitzert und blendet das reflektierende Sonnenlicht auf dem bis gen Horizont unendlichem Weiß aus kristalliertem Wasser. 

«Das warme Sonnenlicht auf der Gesichtshaut und der klare, nur noch blaue Himmel erweckt paradoxerweise den Anschein, der Schnee  müsse warm sein.»

Nur die Kälte, welche beim Inhalieren der Winterluft als weißer Atem, der leise beim Ausatmen durch die Luft aufsteigt, erinnert an die Tatsache, dass es Winter ist.  Es ist ein wundervoller Nachmittag. 

Jeden Winter passiert es. Obgleich sie die warmen Sommertage liebt, weil sie dann barfuß laufen und nackt schlafen gehen kann. Sie mag es nicht, zu frieren. Und trotzdem passiert es jeden Winter:  Jedes mal, wenn der Schnee fällt und sich die Sonne der Welt in ihrer vollen Gänze zeigt. Wenn sich in blau und gelb gemischt, das Firmament selbst in Licht kleidet, fühlt sie sich wie die Prinzessin. 

Sie ist ganz gewiss Prinzessin.

Geliebt von ihrem imaginären Vater, dem guten König von diesem herrlichen Land. Sie weiß, er schickt seine Liebe zu ihr, als prächtiges Geschmeide und üppige Seide, fein besticktes Brokat. Vermutlich weiß der König genau, welch zauberhaftes Geschenk dies für sie ist. Verklärt und trunken, ein Lachen und rosa Wangen zieren ihr Gesicht. Sie schwelgt dahin in dem funkelndem Kleid aus Schneeflocken, welches sie umgibt und welches ihr Herz wärmt und ihre Seele liebevoll einzuhüllen vermag. Sie blinzelt dankbar in die Sonne. 

«Warmer Schnee » denkt es in ihr.

Was für ein wundervoller Wintertag. Tief inhaliert sie die klare, nicht zu kühle, frische Luft. Schon voll von Freude und mit einer gesunden Klarheit in Kopf und Brust, nimmt sie sich Zeit für weiteren Genuss. Sie bleibt stehen. Mit geschlossenen Augen, weit auseinander gebreitet die Arme, seitlich hebt sie diese am Kopf vorbei, atmet ein und aus, während sie die Arme  nach oben streckt. 

Nun ist sie eins mit der Luft. Gewachsen. Groß und ihres majestätischen Geschlechts gewahr. 

Sie schaut königlich, mit Güte in den sie umschmeichelnd einhüllenden Raum. Ausfüllend. Fei. Eins mit der Umgebung. Eine Königin mit dem Adel des Herzen. Nun sich ganz ihrer Selbst bewusst.  Eins mit dem Schöpfer und der gesamten Schöpfung. Sie. 

Wer ist Sie? Alles fühlend als Eins in ihr. Sie. Ein Zustand, eine Erfahrung, kaum und nie vollständig in Worte zu kleiden, unfassbar, nicht zu fassen. Ein erneuter, kläglicher Versuch, der während des Schreibens bereits von seinem Scheitern weiß: Sie ist von, für, in, aus, wie der Schöpfergeist selbst. Und gleichsam bewusst, es nicht zu sein. Doch an ihm Teil zu haben. Und mit des Schöpfers Augen schauend, erhaben, gnädig, gänzlich liebevoll fühlend erfahren, wie er selbst sich in Allem sieht. Du bist all dies, will er damit sagen.

Die Sonne scheint, gerade warm genug, um der Prinzessin ein Lächeln ins Gesicht zu malen. Es ist ein Januartag. Einer, wie solche, die sie aus Kindertagen kennt. Nunmehr sind solch wundervolle Wintertage nur noch selten, eher eine mehr und mehr ferne Erinnerung. Sie genießt diese Tage besonders, so als wolle sie ein Buch, mit Erinnerungen an jede Einzelheit solcher magischen Momente, für später notieren und ewiglich aufbewahren. 


«Wo bewahrt man es am besten auf» denkt es in ihr.


Sie blickt, als sie die Straße herunter in Richtung Bahnhof zu Fuß nimmt, auf die schön gepflegten Häuser und Gärten der hierfür gelobten, guten Wohngegend. Wie meistens, ganz alleine und zu Fuß,  ist die junge Hoheit, inmitten der ebenso gut gepflegten Fahrbahn unterwegs. Sie liebt es, sich, wenn es geht, also wenn nicht zu viel Autoverkehr herrscht, sich die Freiheit herauszunehmen, statt auf dem schmalen Gehweg, lieber auf der breiten Fahrbahn zu gehen. An späten Abenden, sowie des Nächtens oder an Sonntagen, wie diesem, geht das besonders gut und hat sich als ungefährlich bewiesen. Selbst wenn ein Auto fährt, so vertraut sie, der Fahrzeugführer wird sie sehen und wenn auch empört und verstört bremsen, bevor er sie überfährt. Denn heutzutage will doch wohl keiner noch mehr Schuld auf sich laden, haben alle doch noch genug an alter Todesschuld zu tragen.


 Sie  indessen,  ist sich ihrer Unschuld bewusst.  Lacht.  «Du bist niemand etwas schuldig» denkt es in ihr. 


“Wie schön es hier ist”, flüstert die Prinzessin, “ich wohne ganz oben. Da wo nur noch der Albtrauf direkt an den Himmel stößt, und sonst nichts. ”


Ihr kleines Zion. Mount Zion, oder liebevoll auch Zionalb von ihr genannt. Die besseren Leute leben hier. Geschäftsführer und Handwerksmeister. Die gute Mittelschicht und ein paar ganz schön Reiche. Was die tun und sind, darüber spricht keiner. Sie leben allerdings gleich um die Ecke mit den sogenannten normalen Leuten. Der Arbeiterklasse. Die wohnen in einem riesigen Mehrfamilienhaus. Wie Hühner nebeneinandergefercht, in Wohneinheiten, die alle gleich aussehen, wie Hühnerkäfige, Karnickelkisten, Vogelkäfige oder Schuhschachteln, aneinandergereiht, in einem riesigen Schuhregal. Jeder Balkon ist in einer anderen frohen Farbe gestrichen. Blau, Grün, Orange, Gelb, ...

Dazwischen, eine Straße, die gepflegt ist, mit neuen Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften. Die sehen aus, wie Werbung auf dem großen Werbeplakat für den Garten-Baumarkt oder  Häuser für Broschüren und Werbeanzeigen für den Fertighausbau.  Es fehlen nur noch Barbie und Ken, um das Bild zu perfektionieren, als lebensgroßes Advertisement, einer 

lebendigen Kampagne für die Kinderabteilung eines Kaufhausimperiums. 

“Hier wohnen”, laut dem missgönnerischem Tratsch der Handwerker und der Arbeiterklasse, “nur die Russen und die Ostdeutschen.” Sie leben hier streng beobachtet, wie früher von der Stasi, nun von der selbsternannten, “feinen” Nachbarschaft. Das trübt den schönen Glanz der guten Gegend. Nach mehreren Jahren hier droben, ist es nun mehr ein matter und sehr stumpf klingender Schein. Fahl und leer, beeindruckt die Wohlhaberei die Prinzessin nicht im geringsten mehr, sondern der Neid und still dahin schleichender Bruderhass, berühmt geworden  als  “Rassismus”,  auf so engem Raum, besorgt sie eher. 


«Wirf Deine Sorgen auf mich, spricht der Bruder CHRISTUS», denkt sie sich.

“Ich will den Bruder weder morden, noch meinem Bruder neidisch sein,” flüstert sie und bittet CHRISTUS, “korrigiere es für mich”. Friede sei stattdessen mit mir. 

Aufgeregt denkt sie, wieso der Krone der Schöpfung, dem Menschen selbst, weniger Raum zugesprochen ist zum Vorteil von Autos, dem eigenen Haus, Garten, Geräten, Technik und Maschinen? Sie lassen sich geradezu freiwillig und wie selbstverständlich von ihrem Tand an den Rand drängen? 

Sie selbst sieht darin keinen Vorteil und hat schon mehrmals nach guten Gründen dafür gesucht, jedoch bisher kein wahrhaft überzeugendes Argument für diesen Unfug gefunden.


«Welchem Gott dient Gott?» denkt es in ihr sofort.

Darauf hört sie keine Antwort. 

«Die Frage selbst ist die Antwort. » denkt es in ihr.


Sie geht über den Spielplatz. Nicht weil dies der kürzeste Weg ist, sondern weil es hier viel schöner ist zu  laufen. Die unversperrte Aussicht auf den Albtrauf, direkt vor ihr, scheint durchaus immer wieder ganz entzückend. Besonders jetzt:

Alles ist heute bezaubernd eingehüllt, in einen Mantel aus glitzernden, weißen Schneeflocken und einem Schleier aus kalter Luft. Milchig davon eingehüllt, stehen ringsum die Wiesen und Wälder, sowie der Albtrauf und am Horizont das Schloss. Bezaubernd. In  märchenhaftem Blau zeugt der Himmel von Unendlichkeit, hübsch mit zarten Wölkchen, gleich weißen Bändern, reich verziert. Sie scheinen sich wie im Reigen zu bewegen, beinahe unmerklich. Es scheint, als wolle sich das Himmelsblau entfalten, aus seinem Morgenmantel winden. Auf dem Hügel angekommen, wird der Prinzessin fast benommen von den gleißend hellen, grellen, heißen Sonnenstrahlen, welche sich hier nun zusammen auf dem Plateau wie in einem Lichtbecken tummeln und das Sonnenbad eröffnet haben. Kein Baum hier droben, der Schatten und Schutz verspricht vor dem unbarmherzigen Sonnenlicht.


Plötzlich nimmt sie etwas anderes wahr:  Ihr Geist ist nun in einem anderen Augenblick, scheint entrückt worden zu sein: zu einem anderen Ort, in ein zeitloses JETZT. Staubige, sandige Böden, durchbrochen von schlammigen Wasserpfützen. Bäume, trocken und nach Wasser suchend, ihre Wurzeln zu den Wasserlöchern spreizend. Sie, ebenso trocken, ihre Kopfbedeckung schützend über die Augen und ihre Nase haltend, um Luft ringend. Sie spürt Durst in sich aufkommen. Ein Windhauch, lindert, jedoch wirbelt er auch Sand auf. Die Augen sind zu schmalen Linien geworden. 


«Wo bin ich?» fragt es in ihr. Sie sieht die Gegend an. Sie weiß wo es ist. Doch sie fühlt sich anders. Wieso fühle ich mich wo anders, wo doch meine Augen sehen, ich bin da wo ich vorher auch gewesen bin? Sie versteht es nicht. Doch sie ist sicher, es ist wahr. Sie befindet sich wo anders und gleichsam ist sie hier. Sie wundert sich. Es macht keine Angst. Es macht sogar Spaß. Freude. Freude ist der richtige Ausdruck. Sie lächelt. Diese andere Person lächelt ebenfalls aus ihrem inneren Selbst. 

«Bist du meine Schwester?» denkt es in ihr. Mmmmh. Keine Antwort. Sie lässt es zu, Schritt für Schritt kommt ihr es mehr als real vor. Sie selbst ist wo anders. Afrika. Es ist Afrika. Ganz gewiss, Sie weiß es nun sicher. Afrika. Sie lacht. Sie kann sich erinnern, an einen heißen Tag, als Kind. Sie stieg aus dem Flugzeug und die selbe heiße, stickige, sandige Luft und Hitze schlugen ihr damals ebenso wie jetzt ins Gesicht. Es war ihr erster Tag in Afrika. Sie wollte nicht zurück. Damals. Sie wollte nie wieder zurück. Sie erinnert sich, damals weinte sie, als sie wieder zurück war und es kalt war und regnete, windig und ungemütlich war es. Seither war sie nie wieder in Afrika. Jedenfalls nicht mit dem Flugzeug. Im Geist schon oft. Jedes mal wenn sie süßen, weißen Jasmin roch, Jasmin Tee trank, war sie sofort wieder dort. Und nun passierte es auch. 

Allerdings anders als beim Geruch von Jasmin. 


Viele Tage sind vergangen. Schnee hat sie seither so wundervoll wie an diesem Sonntag nicht mehr gesehen. Stattdessen Unglaubliches, Situationen, die sich nicht einmal der Schöpfer selbst ausgemalt hätte. Fürwahr Wahnsinn in den Augen der Prinzessin. Sie möchte sich an den ganzen Unsinn nun ganz gewiss nicht mehr erinnern, obgleich sie den Albtraum, welchem sie nun mehr als genug zusah, sicherlich dazu noch nützlich sein lassen wird, der Stimme in ihr selbst noch viel mehr als bisher zuzuhören. 

Ihre Stimme für wahr zu nehmen. Sie hat gelernt, wahr zu nehmen, daß diese Stimme einzig und allein  wahr ist. Sie lernte, dass das Zuhören nun lebensnotwendig  geworden ist, will man nicht dem Wahnsinn zum Opfer fallen, welcher ohne dieses innere Selbst wahr zu nehmen, ausnahmslos jeden Menschen befällt. 

«Was ist mit dem Rest der Welt? Tiere und die Sonne scheint es nicht zu treffen? »denkt sie. 

“Die sind von Wahnsinn nicht betroffen, weil sie tun was sie sollen, nicht was sie wollen." empfängt sie sofort als Antwort. 

Mmmmh. Ein Grund sich zu sorgen, den freien Willen misszuverstehen. Wer kann schon von sich sagen, nie fehl zu gehen. 


Sie will für wahr, besser nur dem Willen des Schöpfers nachgehen. 

Das hat sie nach dem letzten, eigenen, schmerzvollen Fehler, eingesehen. 

Was nun? 

Weitergehen. 

«Aufstehen, Krone gerade richten, weitergehen», denkt es in ihr. Sie muss schmunzeln. Das stand auf einer Tasse, die sie lange mit sich trug. Irgendwann haben die Wege sich dann getrennt. “Es war Zeit, sie frei zu lassen”, flüstert sie leise und schmunzelt.  

Seither versucht sie sich zu erholen und gleichzeitig weiter zu gehen. «Kann das denn gehen, » denkt sie sofort. 

Um darüber nachzudenken, wendet sie sich erstmal einer Tasse Kaffee zu. 

Es ist kurz vor elf Uhr, abends. Der Accu ist leer. Zeit aufzuladen...

Selfcare, was bedeutet das? Ich muss ehrlich sein! 

Ich bin geliebt und genug, ich bin heilig, wie Du.

«Auch wenn ich selber weiter gehen werde, es wird langsamer sein. Ich kann selbst wenn ich es möchte, nicht mehr schneller gehen und mehr als bisher ertragen. Ich bin müde. Ich bin weder schuldig, noch unwillig, weder besser noch schlechter als Du. Schwester. Ich bin müde, wie Du. Es ist die körperliche Grenze, die den Geist erhellt, sobald der Verstand vom Wahnsinn abfällt. Ich will bei mir sein, in meinem Körper weiterhin wohnen, als Heiliger Geist. Das heißt, ich will Dir nicht mehr grollen, jedoch es noch meinem Bruder sagen, dass ich nicht für Dich sterben kann und werde. Ich will froh sein, leben und nicht meine Freude dem Groll überlassen. Ich kann keinen Hassen. Jedoch kann ich Dich deiner eigenen Wahl stets überlassen. Du bist frei, wie ich frei bin. Mach dein Ding. Ich bin schon frei, erfüllt von Friede und voller Freude am Leben. Das tausch ich nicht ein, für andere Leute und deren Gebäude. Sei selber schuld, und zwar an Allem. Was Du willst, soll Dein sein, jedoch nicht meinetwegen, denn ich bin und bleib unschuldig in Allem. Ich bleib dabei, frei, voller Freude und ohne Groll. In Wahrheit bin ich nicht schlechter oder besser als Du, und in Wahrheit sind wir in Gott alle genug, ist das nicht einfach toll!?! »


Sei einfach nur ehrlich! 

Bist Du nicht zu viel, zu schnell, zu weit, 

oder unentwegt hin und her geirrt,

ein und den selben Weg,

tausend mal abgelaufen? 

Ich will hören, wie es euch geht.

Dazu muss ich mich erst einmal erinnern,

stehen zu bleiben. Zu bleiben. Im Schweigen.

Erzähle mir, 

wie geht es Dir? 


Copyright:(©EigenerText_@mphowami) 

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